Du oder Sie
Zeigen Sie Haltung.
Kürzlich beim Abendessen mit zwei Freundinnen, beide im öffentlichen Dienst: „Bei uns wird fast nur gesiezt“, erzählen sie. „Das Du? Höchstens unter sehr engen Kolleginnen.“ Als ich dann aus meiner Marketingwelt berichtete, dass ich mit fast allen Kunden früher oder später ins Du übergehe, waren beide sichtlich erstaunt. Was für sie unvorstellbar klang, ist für mich inzwischen Alltag – und funktioniert. Weil es nicht ums Wort geht, sondern um Haltung.
Falsche Vertraulichkeit: Zwischen Nähe und Distanz
In vielen Organisationen herrscht ein seltsames Zwischending: Gesiezt wird offiziell, der Ton ist trotzdem kumpelig. Oder es wird halbherzig geduzt, aber ohne gelebte Vertrauenskultur. Beides wirkt verwirrend – und wenig authentisch. Statt neutral herumzueiern, braucht es eine klare Entscheidung. Denn Sprache prägt Haltung – und zeigt, wie wir einander begegnen wollen. Wer sich nicht positioniert, hinterlässt Unklarheit – und die spüren sowohl Mitarbeitende als auch Kunden.

Wenn man die eigene Sprache nicht kennt
Immer wieder sehe ich Werbeflächen eines großen Unternehmens in meiner Region. Offenbar können sie sich nicht entscheiden, ob sie ihre Kundschaft lieber duzen oder siezen wollen. Mal so, mal so – auf einem Plakat sogar beides gleichzeitig. Als Leser spürt man die innere Zerrissenheit und die fehlende Haltung fast körperlich. Wahrscheinlich wurde intern bereits erkannt, dass sich bestimmte Themen mit einem nahen Du leichter transportieren lassen als mit einem steifen Sie – aber der Mut zur klaren Entscheidung fehlt. Mein Rat: Analysieren Sie Ihren Markt, Ihre Zielgruppe und Ihre Region genau – und entwickeln Sie eine konsequente Strategie. Denn wer zu lange zaudert, wird am Ende womöglich von der Konkurrenz überholt, die schon längst Haltung zeigt.
Nähe ist kein Kontrollverlust
Ich durfte in der Vergangenheit für einen großen Konzern arbeiten. Dort war das Du selbstverständlich – bis in die Geschäftsführung. Und nein: Der Respekt ging dadurch nicht verloren. Im Gegenteil. Die Haltung, mit der dort kommuniziert wurde, war klar, verbindlich und wertschätzend. Man begegnete sich auf Augenhöhe – offen, aber professionell. Das Du war dort keine Anbiederung, sondern ein Zeichen von Vertrauen und Haltung. Und genau das wünsche ich mir öfter: bewusst eingesetzte Nähe, statt künstlicher Distanz.
Klarheit statt Kuschelkurs
Natürlich muss niemand zwanghaft duzen. In manchen Kontexten ist das Sie völlig richtig. Aber dann bitte mit echter Wertschätzung – nicht aus Bequemlichkeit oder Angst vor Fehlern. Falsche Vertraulichkeit entsteht, wenn Nähe nur gespielt wird. Echte Nähe hingegen ist ein Angebot: ehrlich, verbindlich und klar. Ob mit Du oder Sie – entscheiden Sie sich bewusst. Und stehen Sie dazu.

Und ja – auch ich komme manchmal ins Straucheln.
Zuletzt genau hier, bei diesem Blogartikel. Mein erster Impuls war: Ich duze. Ganz klar. Schließlich gehe ich mit dem Großteil meiner Kundinnen und Kunden früher oder später ganz natürlich ins Du über. Aber irgendwie hat es sich an dieser Stelle nicht richtig angefühlt.
Denn hier auf dem Blog spreche ich zu Menschen, die mich vielleicht noch gar nicht kennen. Vielleicht sind Sie gerade das erste Mal hier gelandet. Vielleicht arbeiten Sie in einer Branche, in der das Duzen eher unüblich ist. Vielleicht sind Sie neugierig – aber noch auf Abstand. Deshalb habe ich mich für das „Sie“ entschieden. Nicht aus Förmlichkeit, sondern aus Respekt. Weil ich Sie – noch – nicht richtig greifen kann. Und weil ich finde, dass man gerade beim ersten Kontakt lieber einen Tick zu höflich als zu nah sein darf. Aber: Das Du steht jederzeit bereit. Wenn es passt, wenn es sich ergibt, wenn Sie das möchten – dann lassen Sie es mich einfach wissen. Ich bleibe auch im Du höflich, professionell und auf Augenhöhe. Und wer weiß? Vielleicht sieht dieser Blog in ein paar Jahren ganz anders aus. Vielleicht hat sich das Sprachgefühl dann längst gedreht – und wir rutschen alle wieder ein Stück näher zusammen.
Übrigens: Im Englischen stellt sich diese Frage gar nicht. Da ist jeder ein „you“. Ob nah oder distanziert – entscheidet der Ton, nicht das Wort. Auch eine Form von Klarheit, finde ich.
In einer Welt, in der wir uns ohnehin immer weiter voneinander entfernen, ist Nähe ein echtes Statement. Nicht aufgesetzt, sondern ehrlich gemeint. Unternehmen, die Haltung zeigen, schaffen Vertrauen – innen wie außen. Ob Du oder Sie: Entscheidend ist, wie Sie Ihre Kultur leben. Und wie mutig Sie sich zeigen.
